Filesharing- Fälle: Hoffung für Abgemahnte?

In Fällen unberechtigter Abmahnung wegen der Nutzung von Tauschbörsen ist es den Betroffenen kaum möglich, sich zu verteidigen. Sämtliche Beweise, die zur Entlastung führen könnten, werden entweder nie erhoben oder vom Provider unmittelbar nach Auskunft an den Abmahner gelöscht. Jetzt gibt ein Urteil des OLG Köln Anlass zur Hoffnung.

 

OLG Köln erleichtert Bestreiten des fälschlich Abgemahnten

 

Das OLG Köln hat in einer Entscheidung vom 14.3.2011 die Beweisnot des Abgemahnten erkannt und die Gegenwehr gegen unberechtigte Abmahnungen vereinfacht:

 

Soweit die Beklagte als Störer in Anspruch genommen wird, hat das Landgericht zunächst es zu Unrecht als unbeachtlich angesehen, dass die Beklagte die ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adresse bestritten hat. Da insoweit ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig ist, bedurfte es des Vortrags konkreter Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Ermittlungen nicht. Auch der Umstand, dass diese Software Gegenstand der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs war und dort nicht beanstandet worden ist, führt nicht zur Unbeachtlichkeit des Bestreitens. Die Parteien sind nicht an die tatsächlichen Feststellungen aus einem anderen Verfahren gebunden. [] Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch die Feststellungen in dem Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG nicht präjudiziell sind. Dies folgt schon daraus, dass die dortigen Feststellungen in der Regel allein auf den Angaben des Rechteinhabers beruhen, während der (angebliche) Verletzer an diesem Verfahren vor Erlass der Gestattungsanordnung nicht beteiligt werden kann.“

 

Bemerkenswert hierbei ist die Aussage, dass das Bestreiten der ordnungsgemäßen Ermittlung der IP-Adresse „mit Nichtwissen“ ausreicht und keine konkreten Anhaltspunkte dargelegt werden müssen, warum die Ermittlungsmethode oder deren Ergebnis fehlerhaft seien. Genau darin unterscheidet sich die Entscheidung von anderen Gerichten, die – wie das LG Köln als Vorinstanz – ein einfaches Bestreiten der ordnungsgemäßen IP-Adressenermittlung oft als „Bestreiten ins Blaue hinein“ und unsubstantiiert verworfen haben – dort mit der Konsequenz, dass die vom Abmahner vorgelegten Daten ohne genauere Prüfung als zutreffend angesehen wurden.

 

Das OLG Köln erkennt in dieser Entscheidung völlig zu Recht an, dass der (unberechtigt) Abgemahnte überhaupt nicht die Möglichkeit hat, den Ausführungen des Abmahners zu dessen Ermittlungsmaßnahmen, deren Ordnungsgemäßheit und deren konkreten Ergebnissen in einer Weise zu entgegnen, die die Anforderungen an die sog. sekundäre Darlegungslast des Abgemahnten erfüllen würden.

 

Schon technisch keine Möglichkeit eines Gegenbeweises

 

Der Abgemahnte hat schlichtweg keine Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeit hinsichtlich der Ermittlungsmethoden, da es sich dabei um rein interne Vorgänge des Abmahners handelt. Und auch die in diesen Fällen wichtige Frage, welche öffentliche IP-Adresse dem Abgemahnten zu einem oder mehreren Zeitpunkten zwei Monate oder länger in der Vergangenheit von dessen Internetprovider zugewiesen war, entzieht sich dem Einfluss- und Wahrnehmungsbereich des Abgemahnten. Bei der dynamischen Adressvergabe bezieht sich nämlich die vom Internetrouter des Abgemahnten abgesetzte Anfrage stets auf die Zuweisung irgendeiner, jedoch gerade nicht einer bestimmten IP-Adresse. Derartige Anfragen würde der Internetprovider abweisen, so dass der Abgemahnte gerade nicht selbst beeinflussen kann, welche IP-Adresse er zugewiesen bekommt.

 

Der Abgemahnte kann ebenfalls nicht einfach nachschauen, ob die Zuordnung der IP-Adresse zu seinem Anschluss zutreffend ist, da diesbezüglich längst alle Aufzeichnungen unwiederbringlich gelöscht sind. Zwar zeichnen die meisten Internetrouter ihre aktuelle öffentliche IP-Adresse auf, jedoch reicht die Kapazität dieses Speichers meist nur für wenige Tage. Eine Speicherung über längere Zeiträume bieten nur wenige Geräte überhaupt an und diese sind meist teurer als die Hardwareangebote der Internetprovider oder gängigen Elektronikmärkte.

 

Entscheidung könnte Vorbild für andere Gerichte sein

 

Es ist daher zu begrüßen, dass das OLG Köln der fehlenden Einfluss- oder Wahrnehmungsmöglichkeit des Abgemahnten auf den technischen Vorgang der Sachverhaltsermittlung konsequent durch Anwendung der Ausnahmeregelung des § 138 Abs. 4 ZPO begegnet. Dieser lautet:

 

„Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.“

 

Dem bisher vorherrschende „Automatismus“, bei Bestreiten der Täterschaft ohne Nennung des tatsächlichen Täters stets von einer (unbeachtlichen) Schutzbehauptung des Abgemahnten auszugehen, wird damit vom OLG Köln eine Absage erteilt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund richtig und wichtig, dass Fachleute begründete Zweifel an der Funktionsweise der von einem ähnlichen Unternehmen eingesetzten Software zur Beweisermittlung hegen.

 

Es bleibt daher zu hoffen, dass sich andere Gerichte dem anschließen und keine unerfüllbaren Anforderungen an den „Beweis der Unschuld“ durch den Abgemahnten stellen.

 

Sachverständigengutachten könnten überprüft werden

 

Das OLG Köln lässt es jedoch nicht dabei bewenden, sondern spricht das aus, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: weder das Gericht noch die Parteien sind an tatsächliche Feststellungen aus anderen Verfahren gebunden. Nur weil eine bestimmte Ermittlungssoftware des Abmahners in einem anderen Verfahren nicht untersucht oder beanstandet wurde, spricht dies gerade nicht dafür, dass die Software ordnungsgemäß funktioniert oder keiner Funktionsprüfung durch einen vom Gericht bestellten Gutachter mehr bedarf. Ebenso verhält es sich mit dem Ermittlungsergebnis nach dem landgerichtlichen Auskunftsverfahren: Da von einem Richter am Landgericht mit Blick auf den Umfang derartiger Auskunftsanträge nicht ernsthaft erwartet werden kann, jede einzelne von mehreren tausend Kombinationen aus Zeitstempel und IP-Adresse zu überprüfen, muss diese Überprüfung im Einzelfall jedenfalls vom erkennenden Gericht des Unterlassungs- bzw. Zahlungsklageverfahrens nachgeholt werden. Das Gericht sollte sich jedoch gerade dann nicht darauf zurückziehen, es spreche ein Anschein für die Richtigkeit der ermittelten Ergebnisse, wenn die Richtigkeit der Ergebnisse bis zu dem Zeitpunkt noch gar nicht überprüft wurde.

 

Kein Freibrief für Filesharer!

 

Zwar ist nach dieser Entscheidung des OLG Köln der Ball wieder ein wenig mehr ins Feld der Abmahner geschlagen, die nun vielleicht eher damit zu rechnen haben, das meist schon im Abmahnschreiben zitierte Sachverständigengutachten zur Funktion der Ermittlungssoftware nun auch tatsächlich aus der Tasche zücken und auf das Richterpult legen zu müssen, jedoch ist dies noch lange kein Freibrief für zurecht abgemahnte Filesharer.

 

Denn bisher handelt es sich nur um eine einzelne obergerichtliche Entscheidung, die zwar eine große Überzeugungskraft innehaben mag, jedoch für andere Oberlandesgerichtsbezirke nicht bindend ist. Des Weiteren ist eine überzeugende Beweisführung durch den Abmahner auch im so genannten Strengbeweisverfahren möglich, da die verschiedenen eingesetzten Ermittlungsprogramme in vielen Fällen ja tatsächlich zum richtigen Täter bzw. Anschlussinhaber führen.

 

Außerdem sollte man sich dieser Verteidigung nicht ohne umfassende anwaltliche Beratung bedienen, denn die Folge des unwirksamen Bestreitens mit Nichtwissen ist die Fiktion des Zugeständnisses, der Abgemahnte wird also so behandelt, als habe er die behauptete Tatsache gar nicht in Zweifel gezogen. Diese Folge hat auch das LG Köln in Kenntnis der obigen OLG Entscheidung angewendet, weil im dortigen Fall schlicht die falschen Tatsachen mit Nichtwissen bestritten wurden.

 

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